Mut zum Alleinsein – Oder die Kunst, mit dem All Eins zu sein

„Ist es denn nicht gefährlich, allein zu sein?“ — Diese Frage klingt durch die Jahrhunderte, wie ein sorgenvoller Hall in uns selbst.
Mut zum Alleinsein? – Wer sich in die Tiefen der Einsamkeit wagt, dem öffnet sich kein sanfter Garten der Muße, sondern ein Ort, an dem jedes Geräusch der eigenen Gedanken laut widerhallt. Einsamkeit, so scheint es, ist nicht nur die Abwesenheit von Menschen, sondern die Abwesenheit von Resonanz.

Denn, so dürfen wir uns erinnern: Der Mensch ist ein sprechendes Wesen, ein zoon logon echon, wie Aristoteles ihn nannte. Wo Sprache verkümmert, verkümmert auch der Geist. Dort, wo Worte fehlen, verliert unser Inneres seinen Halt. Die Vereinsamung ist wie ein schleichendes Gift, das unsere Fähigkeit zur Rückkopplung an die Wirklichkeit zerstört. Wir sehen uns selbst nur noch durch einen Zerrspiegel. Und wer einmal in diese Falle geraten ist, weiß, wie schwer es ist, sich aus ihr zu befreien.

Die Kunst, mit dem All Eins zu sein

Doch wie tröstlich ist dagegen die andere Seite derselben Münze: das Alleinsein. Im Alleinsein liegt kein Entzug, sondern eine Verwandlung. Es ist die bewusste Entscheidung, für eine Zeit die Stimmen der Welt zum Schweigen zu bringen, um der eigenen Stimme zu lauschen — und vielleicht noch etwas Tieferem, Größerem.

Ich mag diese poetisches Bild: Alleinsein als All-Eins-Sein. Es birgt jene feine Ahnung, dass wir nie wirklich isoliert sind, solange wir uns eingebettet wissen in einen größeren Zusammenhang. Wer allein ist, muss nicht einsam sein. Im Gegenteil: Viele finden gerade in der Stille jene innere Stimme wieder, die im Lärm des Alltags untergeht.

Die Frage lautet also nicht: Habe ich Mut zur Einsamkeit? Sondern: Habe ich Mut, mit mir selbst ins Reine zu kommen? Habe ich den Mut, mir selbst Gesellschaft zu leisten — auch wenn es unbequem wird? Denn Alleinsein ist Arbeit an der eigenen Seele. Es ist eine Kunst, die erlernt werden will, ein stilles Handwerk, das Geduld verlangt.

Sokrates selbst war kein Einsiedler, aber er war Meister darin, die innere Stimme — sein Daimonion — zu befragen. Diese Stimme braucht Raum. Raum, der nicht zugestellt ist, mit den Stimmen der anderen. Raum, in dem wir denken dürfen, ohne sofort unterbrochen zu werden.

Vielleicht sollten wir uns also weniger davor fürchten, allein zu sein, sondern eher davor, es nie zu sein. Denn wer nie mit sich allein ist, wird sich selbst kaum erkennen.

Mut zum Alleinsein? Oder die Kunst, mit dem All Eins zu sein?

So mag sich der Schlachtruf wandeln: nicht „Mut zur Einsamkeit!“, sondern „Mut zum Alleinsein!“ Und wer mag, der erweitere ihn noch um ein leises Bekenntnis: „Mut, mit dem All Eins zu sein.“
Mögen wir in dieser Stille keine Folter finden, sondern einen Ort der Verwandlung — eine Einsamkeit, die uns nicht vereinzelt, sondern verbindet.


Hilfe zur Überwindung der unfreiwilligen Einsamkeit: Das wertvolle Gespräch oder hier: Philosophie gegen Einsamkeit  oder: Philosophische Gespräche – Der wahre Luxus?