Liebe künstlerische, kreative und philosophische Freundin,
Du schreibst mir gerade, Du stehest derzeit auf Albert Camus und seinen Mythos von Sisyphos.
Wie sehr mich Deine Worte aufwühlen! War doch gerade in jungen, verzweifelten Jahren dieses dunkle, schmale Büchlein von Albert Camus solch ein Geländer und Trost. – Als ich weder aus noch ein wusste. Als ich keine Idee davon hatte, wohin und an wen ich mich wenden sollte. Härter noch: … an wen ich mich überhaupt hätte wenden können!
Kurz: Als mir mein Leben sinnlos erschien und ich nicht wusste, wie ich einen Sinn in meinem Leben finden könnte.
Der Mythos von Sisyphos
In vager Erinnerung – wie durch einen dichten Nebel – ist mir nur noch das, was ich Camus Gedanken damals entnehmen konnte und was mir Trost spendete in meiner Ratlosigkeit. Was mir die Kraft verlieh, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Stumpf und taub weiterzugehen. Aber eben doch: weiter zu gehen. Nicht stehenzubleiben! Nicht zusammenzubrechen!
Camus Gedanke, so wie ich ihn erinnern kann, besagte ja wohl, dass Sisyphos als glücklicher Mensch zu werten sei, weil er eine Aufgabe habe in seinem Leben. Und weil er diese Aufgabe, soweit man denken mag, auch morgen und übermorgen noch haben werde.
Gut also; eine Aufgabe hatte ich in diesen grauen Zeiten meines ganz jungen Erwachsenenlebens auch. Und diese Aufgabe würde ich auch morgen und übermorgen noch haben. Wovor mir grauste! Wovor mir maßlos grauste! – Sollte das etwa mein Leben sein?
Aber nun, da ich ohnehin keinen Rat wusste, was mit meinem Leben anzufangen sei, wollte ich mich lieber auf Camus verlassen, als weiter in meinen eigenen unausgereiften und ungeordneten Gedanken herumzustochern. Denn das tat weh; unglaublich weh tat das!
Wenn ich aber auf diesen berühmten und allseits geachteten Mann bauen könnte, so hätte ich doch wenigstens einen sicheren Boden unter meinen Füßen. Und so wollte ich mich auf mein durch Albert Camus persönlich attestiertes Glück verlassen, weiterhin Tag für Tag meinen blöden, schweren Stein den Berg hinaufschieben. Und dabei so glücklich als möglich sein.
Du aber, meine kunstvolle Freundin …
Was mag Dir an Albert Camus und seinem Mythos von Sisyphos liegen? Erträgst Du womöglich – wie damals ich – das Leben als eine schwere Last. Erlebst Du Dich womöglich auch in einer Lage, aus der kein Entrinnen möglich erscheint. Erfährst Du womöglich gerade Deine Hoffnung nicht in Deinem eigenen künstlerischen und kreativen Leben, sondern in den fremden, schön geschriebenen, aber trostlosen Gedanken eines Fremden?
Kein glücklicher Mensch!
Nein, Sisyphos ist nicht als glücklicher Mensch zu sehen. Er kann meiner Meinung nach, drehe man es, wie man es drehen wolle, gar nicht als glücklicher Mensch gesehen werden!
Sisyphos fehlt jede Begeisterung. Keine guten, ihn beflügelnden Geister stehen ihm bei. Er ist nicht eudämonisiert; noch nicht einmal euphorisiert.
Freilich, Sisyphos kann sein Leben ertragen. Doch ihm fehlt alles, was das menschliche Leben nicht nur erträglich erscheinen lässt, sondern weit darüber hinaus auch wahrhaftig lebenswert macht.
Sisyphos ist kein Schöpfer. Er ist weder kreativ noch konstruktiv. Weil er weder kreativ noch konstruktiv sein kann. Er muss ja seinen beschissenen Stein den Berg hinauf wälzen.
Albert Camus Interpretation des Mythos von Sisyphos ist ein Irrtum!
Sisyphos ist kein glücklicher Mensch!
Sisyphos ist eine arme Sau!
…
Spontan geschrieben für meine Kreativitätcoachin, Künstlerin und mittlerweile auch Freundin Jo Pauli, die auch verschiedenste Kreativitätskurse und Weiterbildungen anbietet und mir in zahlreichen kreativ zu lösenden Fragen schon eine wertvolle Inspirationsquelle war. Und stets ist!