Geschichte und Gegenwart

Historie

Wir sagen manchmal: „Das ist Geschichte“ oder „Das ist doch Historie“ und meinen damit, das ein Geschehnis der Vergangenheit angehört und nun keine Bedeutung mehr hat.

Nehmen wir die Sache ein wenig genauer, werden wir feststellen, dass bewusste Geschichte immer auch der Gegenwart angehört. Insofern ist es von Bedeutung, welche und welcherart erzählte Geschichten wir in unserer Vergangenheit und Gegenwart mit uns tragen.

In anderen Worten: Wir sind auch verantwortlich, für die ehrliche, wahrhafte und förderliche Erzählung der Geschichten über uns und unsere Vergangenheit. Die förderlich erzählte Biografie gehört zur verantwortungsvollen Sinnstiftung unseres Lebens unweigerlich dazu.

 

In der Welt sein

Das Gefühl, in der Welt zu sein

Das Gefühl, in der Welt zu sein, entstammt wie die meisten Gefühle einer Bewertung und damit unserem Bewusstsein. Also können wir unser Bewusstsein danach befragen, was wir denn davon wissen – vom unseren „In der Welt sein“.

Diese Frage mag müßig erscheinen, solange sinnstiftende oder scheinbar sinnstiftende Bedingungen uns im weltlichen Leben verankern. (Arbeitsstelle, materielle Wünsche, Freundschaften und Beziehungen etc.). Bricht diese Verankerung jedoch weg, ist die Frage nach dem „In der Welt sein“ nicht mehr müßig, sondern notwendig. Und gleichfalls notwendig wird die positive Beantwortung dieser Frage.

Können oder wollen wir keine Antwort auf diese Frage finden oder annehmen, so werden wir ein Gefühl des in der Welt Seiens erfahren, das manche als ein Geworfen sein ins hier und jetzt, als Konfrontation mit dem Nichts, als ein von der Welt ausgespuckt sein etc. beschreiben. Das hört sich zwar alles berauschend dramatisch und spektakulär an, hilft aber in der positiven Bewältigung des Lebens nicht wirklich weiter.

Bleiben also nur die Religionen und Ideologien unterschiedlicher Qualität als sinnstiftende Institutionen übrig, um dem Leben eine Orientierung und einen wie auch immer gearteten Sinn zu verleihen? – Oder können wir, ohne uns in weltliche Hierarchien eingliedern zu müssen, doch noch etwas mehr über das Leben in Erfahrung bringen, das uns helfen kann, unser Dasein orientiert und befriedet nicht nur zu bewältigen, sondern erfüllt zu leben?

Ich will einen Gedanken vorstellen, der weder neu noch besonders originell ist, mir aber dafür um so tragfähiger und schöner erscheint.

Über die Stellung des Menschen im Kosmos

Die Einzigartigkeit, die das menschliche Leben in dem Kosmos der uns bekannten Grenzen besitzt, verführt geradezu dazu, einmal einen Blick auf dieses Gesamtgebilde „Mensch im Kosmos“ zu werfen:

Der Blick mit dem bloßen Auge macht uns dabei vielleicht klar, dass wir es hier mit etwas richtig Großem zu tun haben. Und, wie ich meine, zu Recht, empfinden wir vielleicht auch eine gewisse Ehrfurcht unserem eigenen Leben und Erleben gegenüber, wenn wir uns die Erde aus dem All betrachtet vorstellen. Und nicht nur die Erde dabei vorstellen, sondern auch uns zahlreiche kleinen Menschen mit unseren ach so weltbewegenden großen Sorgen unseres Alltags. Und vielleicht stellen wir uns auch noch vor, wie wir mittels der Technik, des Flugverkehrs, wie Flöhe von einem Kontinent auf den nächsten hopsen.

Dieses Bild macht uns vielleicht einerseits unsere Kleinheit bewusst; andererseits – in anderer Beziehung – vielleicht auch unsere Einzigartigkeit und Großartigkeit, die wir Menschen in diesem riesigen (wie es uns zumindest erscheint) Gesamtgebilde möglicherweise spielen oder spielen dürfen.

Hilft uns diese Betrachtung nun in unserer eigenen Lebensorientierung weiter? – Noch nicht. Aber sie führt uns vielleicht vor Augen, dass wir in ein größeres System eingebettet sind. Und es erinnert uns vielleicht daran, dass – wie wir es von der Erde und der Natur kennen – jedes erfolgreich in ein System eingebundenes System oder Organ einen ganz bestimmten Sinn erfüllt. (Wie auch die Organe unseres Körpers einen ganz bestimmten Sinn erfüllen, damit Leben möglich ist).

Betrachten wir also einmal auf der Basis unseres Bewusstseins – viel mehr steht uns ja nicht zur Verfügung – dieses Gesamtgebilde „Kosmos“. Dann werden wir, dank unserer Wissenschaftler, feststellen, dass dieser Kosmos logisch aufgebaut ist und dass eine alles umspannende und durchwaltende Logik diesen Kosmos durchzieht. Auch das, was wir als Natur-„Gesetze“ diesem Kosmos entnehmen, baut ja auf dieser Logik auf.

Und – jetzt wird es ein bisschen verwinkelt – da wir Menschen (auf der Erde) ja diese Logik und Naturgesetze des Kosmos erkennen können und wir diese Logik und „Gesetze“ (Verhältnisse) auch auf unserer Erde wiederfinden – und gleichfalls in unserem eigenen Denken – sonst könnten wir das alles ja gar nicht erkennen, stellen wir vielleicht fest, dass das All ebenso wie die Erde und der Mensch selbst auch von diesem wunderbaren Prinzip der Logik ganz und gar durchwaltet ist.

Ob wir es nun wissen oder wissen wollen oder auch nicht: Dieselbe Logik durchwaltet (bestimmt) den Kosmos, die Erde, uns Menschen – und das heißt: Sowohl unseren Körper als auch unser Bewusstsein, alle übrige Natur und auch unsere erfolgreichen menschlichen Werke: alle Wissenschaft und Technik und sogar auch manche Künste.

Hierfür einige Beispiele:

  • Der ganze Kosmos ist logisch geordnet, bewegt und verhält sich logisch. Deshalb sind auch Berechnungen in mehr als drei Dimensionen möglich. Deshalb sind auch Vorhersagen möglich. Deshalb konnten wir auch z.B. auf den Mond fliegen.
  • Die ganze Natur, alles Wachsen und Gedeihen der Lebewesen und Pflanzen ist von wunderbarer Logik durchzogen. Die wunderbare Wissenschaft der Bionik befasst sich damit, deren Gesetze im Konkreten zu erfassen und für unser Leben nutzbar zu machen.
  • Auch was wir Menschen über uns selbst wissen, wissen wir nur kraft unserer Erkenntnislogik und der Sprache von uns und alles, was wir erkennen können, ist wunderbar logisch geordnet.
  • Wenn wir Techniker bauen, bauen wir kraft der Logik. So bleibt Ihr Hochhaus stehen, kann Ihr Auto fahren, Ihr Flugzeug fliegen etc.
  • Überhaupt alles, was wir irgendwie benennen können, was es dadurch für uns gibt (eine Existenz für uns besitzt) erkennen wir nur kraft der Logik unseres Erkennens und aufgrund der inhärenten Logik im Erkannten.
  • Und auch dort, wo uns Logik völlig fern zu sein scheint, waltet sie in uns, im Gegebenen und in unserem Erkenntnisprozess. Zum Beispiel in der Musik, die ein akustischer Ausdruck wunderbarer Harmonie und Ordnung (Logik) ist (… bzw. sein kann).

Freilich, all dieses sind nur Hinweise aber keine Beweise für eine alles durchwaltende, alles durchströmende, zum Leben erweckende und am Leben erhaltende Logik. Jedoch sind diese Hinweise zu eindringlich, als dass es nur wenig weise wäre, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen und, da sie meines Wissens nach weder widerlegt noch widerlegbar sind, sie nicht als Freude und Hoffnung spendendes, Sinn stiftendes Prinzip in unsere Gedanken und unser Leben mit aufzunehmen.

Ein Letztes noch:

Die meisten von uns besitzen auch ein tief verwurzeltes, angeborenes inneres Gefühl für Logik, das sich durch ein Gefühl für eine Stimmigkeit des Gesprochenen oder Gelesenen, durch Freude, Glück, Ergriffenheit oder Liebe zur Musik äußert oder durch eine Liebe und Verwandtschaft zu den schönen Künsten insgesamt.


 

Sprache und Sein

Klärung durch Sprache

In der Sprache kommen wir zu unserem Sein; zu unserem ureigensten Sein.

Freilich nicht in jeder Sprache, nicht in jedem Gefasel. Wohl aber in der Sprache des Seins, der Sprache, in der wir uns ernsthaft und aufrichtig bemühen zu verstehen, was wir meinen und sagen. Hier kommen wir wahrhaft zu uns selbst, zu unserem wahrhaften Sein.

Das aufrichtige Bemühen um ein wirkliches Verständnis dessen, was wir meinen, ist dabei das Entscheidende, das uns zu Erfolg in unseren Erkenntnis-Bemühungen führen kann.


 

Würdigung des Lebens

Das Erleben der eigenen Geschichte

Wir erleben — ist „erleben“ hier das passende Wort? — täglich, stündlich, minütlich sehr sehr viel; weitaus mehr als in unser Bewusstsein dringt und wir dann bewusst wirklich erleben.

Erst indem wir über das Erlebte nachdenken, ihm Form und Struktur verleihen, erheben wir unser Erlebtes ins Bewusstsein. Und indem wir das bewusste Erleben in eine Geschichte fassen, verleihen wir ihm einen Wert in unserem Dasein und erheben das Erlebte durch eine Würdigung gewissermaßen in ein Sein (… das es zuvor so nicht gab).

Das Leben und eigene Erleben in eine Geschichte zu fassen, ist eine Würdigung des eigenen Seins.


 

Sprache bestimmt unser Sein

Sein und Sprache

  • Sprache ermöglicht uns überhaupt erst, „ICH BIN“ und „DU BIST“ zu denken und zu sagen.
  • Sprache ermöglicht uns auch zu denken und zu sagen, WIE ich bin und WIE du bist.
  • Daraus können wir ableiten, WAS ich bin, WAS du bist.
  • Vielleicht können wir daraus auch ableiten, WOFÜR ich bin, WOFÜR du bist. (… die Frage nach dem Sinn des Daseins).
  • Sprache ermöglicht uns auch eine BEWERTUNG unseres Daseins; wie ich bin, wie du bist.
  • Sprache ermöglicht uns auch eine Entscheidung, welche Gedanken wir denken wollen und welche nicht. (Wir müssen uns auch entscheiden, welche Gedanken zu denken gut und förderlich für uns ist und von welchen Gedanken wir lieber die Finger lassen sollten!)

 

 

Cogito – ergo sum!

Ich denke, also bin ich!

Und ich denke durch Sprache. Sprache verleiht mir also ein Sein.

Doch sicher verleiht mir nicht jedes nur sprachliche Gefasel ein Sein!

Ich denke und zweifle im sinnhaltigen Dialog. Der sinnhaltige Dialog ist also die Sprache, die mir ein Sein, ein sinnhaltiges Sein verleihen kann.

Und nicht nur das eigene Sein wird so durch Sprache verliehen, sondern auch jegliches andere Seiende außerhalb meiner selbst, das ich – durch Sprache und durch Gedanken – erkennen kann. Denn nur so kann etwas in meiner Welt zum Seienden erhoben werden.

Der sinnhaltige Dialog, die sinnhaltige Sprache ist damit das in meinem Leben allen Sinn und alles Sein Stiftende.


 

Die Persönlichkeit hinter dem Geschriebenen

Die Persönlichkeit hinter dem Geschriebenen

Wenn wir einen Satz, mehrere Sätze, einen Bericht, einen Brief, eine Erzählung etc. schreiben und „zu Papier bringen“, so ist das oft weitaus mehr, als die Umsetzung unserer Gedanken in eine andere, wieder nachvollziehbare Form. Allein dies hätte auch selten die emotionale Intensität, die das Schreiben für manche von uns beinhaltet, hervorrufen können.

Kennen Sie auch Schreib-Blockaden?

Im Schreiben bekennen wir uns zu etwas. Wir bekennen: „So ist es“ oder „So ist es gewesen“. Vielleicht ist es auch nur ein „So könnte es sein“ oder ein „So könnte es gewesen sein“ – und dennoch ist es ein Bekenntnis. Selbst wenn wir alle individuellen Erfahrungsvermögen und eine Freiheit der individuellen Weltsichtweise mit einbeziehen ist es ein Bekenntnis. Oder sogar: Dann ganz besonders und dann erst recht. Wir stehen mit unserer Persönlichkeit hinter dem Niedergeschriebenen.

Wenn wir einen Gedanken zu Papier bringen, bringen wir ihn damit zur Welt. Das ist eine Geburt! Wir gebären einen Gedanken aus den Tiefen unseres Hauptes und konfrontieren ihn mit dem Licht der Welt. Und wir konfrontieren unseren Gedanken, unsere Gedanken, unsere Persönlichkeit mit den bewertenden Blicken der Anderen; es sei denn, wir schreiben in unser abschließbares, stets verschlossenes Tagebuch.

Und selbst dann, wenn wir nur für uns und nur für unser Tagebuch schreiben, fällt das Schreiben bisweilen schwer, bereitet Mühe, beschert Angst. Denn indem wir ein Gedankengebilde, ein Gedankenbild, in einen Satz oder zu Sätzen formen, gießen wir unsere allen – und auch uns selbst – verborgenen Gedanken in die Formen der Logik und des Logos (gr. λογος,  logos) und verleihen ihnen dadurch ein Sein, das die Seinsstufe unserer geheimen krausen Gedanken und Phantasien bei weitem überragt.

Indem wir schreiben, etwas zu Papier bringen, nach außen bringen, zur Welt bringen, gebären wir. Wir sind kreativ. Wir sind Schöpfer, Kreatoren, wir erschaffen Welt. Zumindest erschaffen wir eine in unseren Augen mögliche Welt. Eine Welt zu der wir uns bekennen; unser Gewissen, unsere Ehre ermahnt uns, uns zu dieser Welt wie zum eigenen Kind zu bekennen. Wir stehen für unser Geschriebenes und zur Welt Gebrachtes ein, müssen dafür einstehen. Wenn auch nicht vor Gericht oder vor anderen Menschen, so doch vor der weitaus höheren Warte der eigenen Persönlichkeit.


 

„Wage niemals zu denken, …

… das Nicht-Seiende sei“, ermahnte uns schon ein sehr früher Denker, der Parmenides nämlich.

  • „Nötig ist dies zu sagen und zu denken, daß nur das Seiende existiert. Denn seine Existenz ist möglich, die des Nichtseienden dagegen nicht.“ – Fragmente, B 6

Betrachten wir mit diesem Gedanken im Hintergrund das Ende unseres Lebens, so werden wir feststellen, dass im Bezug auf ein Hoffnung-stiftendes Element in unserem Leben die Religionen, die ein Paradies – wie auch immer gestaltet – versprechen, den Lebenshaltungen, die nicht ein solches Paradies nach dem Tod verheißen, deutlich überlegen scheinen.

– Nicht jedoch, wenn man das Leben – ganz unpopulär – als fortwährende Verzichtsübung betrachtet. Dann erscheint das „Nichts“ als großes Geschenk: Als Ende allen Verzichts, als Ende allen Begehrens, als Ende alles Erleidens und Ertragens, als endgültige Befreiung von den Schrecken des Daseins, im Wachen wie im Schlaf.

Welche Sichtweise ist – für’s Leben – die bessere?

Mensch – wofür lebst Du?

Ich freue mich immer, wenn ich Idealisten begegne. Und Idealistinnen natürlich auch, denn auf den Piephahn kommt’s dabei nicht an.

Worauf es aber ankommt, ist die Frage, ob ein Mensch seinem Leben einen Sinn und Zweck außerhalb seiner selbst verliehen hat, Welt und Werte erschafft, oder nur darin einen Sinn seines Daseins erkennen kann, dem eigenen biologischen Wohlergehen und der Pflege des Leibes zu dienen.

 

Michael Gutmann
Berlin

Schreiben / Das Gewitter

Da ist sie wieder, diese Idee,
diese Idee, die nichts weiteres neben ihr zulässt,
die alles andere verdunkelt,
diese Idee, die sich nach vorn drängt und von mir Besitz ergreift.

Dann kommt das Gewitter.

Ideen und Gedanken blitzen auf.
Eine Idee, die nächste Idee, die nächste fordert die nächste heraus, fordert sie auf zu jagen und gejagt zu werden,
stärker zu sein, schneller zu sein, heller zu sein.

Ein Gedanke taucht auf. Der nächste treibt ihn, will ihn verdrängen, bezwingen, verjagen,
will Sieger sein.

Ideen und Gedanken ringen und schlagen aufeinander ein, vernichten sich gegenseitig, wollen als Einzige überleben, die stärksten sein.

Stunden, Tage sind vergangen
in Freude, mit Schmerz.
Jetzt bin ich müde, ich mag nicht mehr,
ich bin erschöpft,
fast alles scheint egal zu sein.

Ich ordne die Trümmer,
höre noch das Grollen des Donners in der Ferne,
höre, dass endlich Ruhe ist in meinem Hirn.
– In meinem Hirn? – mit mir selbst und meinem Willen hat das schon lange nichts mehr zu tun!

Ich schreibe, um zu retten, was noch zu retten ist.

Ich schreibe,
das Grollen verhallt, es herrschen wieder Ruhe und Frieden.

Jetzt, nach dem Gewitter ist die Luft klar und rein,
im Garten ist es kühl.
Ich atme tief ein und atme tief aus, spüre die feuchte Luft
und staune über dieses seltsame Leben.

 

Michael Gutmann
Berlin